Besuch aus Grönland

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Vortrag zu Weberei und Mathematik in der Bibliothek des Zentrums für Textilforschung, Kopenhagen. Ellen Harlizius-Klück stehend, links.

Nuuk-København-Nuuk war die Route einer Gruppe von Studenten aus Grönland, die im letzten September das Zentrum für Textilforschung besuchten, als ich dort mein Marie-Curie-Projekt durchführte. Nun berichtet die grönländische Zeitung Sermitsiaq ausführlich über diesen Besuch. Das Foto zeigt mich bei meinem Vortrag zu “Weberei und Mathematik”. Auf der Leinwand rechts sieht man ein Mäandergewebe, das ich im Rahmen der Forschungswerkstatt in Bramsche 2009 gewebt hatte und für das dass Alex McLean kürzlich ein gibber-script geschrieben hat (siehe Foto unten).

Den vollständigen Artikel (allerdings auf Grönländisch) gibt es hier: Avisartikel_Sermitsiaq_01_2014.

Meander "Woven" with gibber by AlexMcLean

Der Faden der Penelope in der Hochschule für Musik und Medien

Penelopes Webstuhl“Struktur kann das Resultat und der Ursprung eines dynamischen Prozesses gleichermaßen sein – ein Gedanke, der der Weberei, der Mathematik und der Musik gemeinsam ist. Indem heute die Praxis des Programmierens der Improvisation oft näher steht als der Maschinensteuerung, wird diese Gemeinsamkeit für die Künste ein zunehmend spannendes Thema. In dieser Hinsicht werden Ellen Harlizius-Klück, Alex McLean und IMM-Dozent Dave Griffiths im Rahmen der fünften Experimentallabor-Residency (5. bis 7. Februar) künstlerische Programmiersprachen in Verbindung mit der Geschichte des Webens neu zu konzipieren versuchen.”

Mit dieser Ankündigung lud Julian Rohrhuber Studenten im Schwerpunkt Musikinformatik an der Robert Schumann Hochschule für Musik in Düsseldorf zur fünften Experimentallabor-Residency ein. Titel: Der Faden der Penelope – Programmieren in antiker Webkunst, Echtzeitpartitur und textil-inspirierte Programmiersprachen. Ich befasse mich schon lange mit dem Zusammenhang von Weberei und Computern (Material am Ende des Artikels) und habe im letzten September bei einem Live Coding Seminar auf Schloss Dagstuhl AlexMcLean und Dave Griffiths kennengelernt, die Programmiersprachen aus der Idee des Fadens oder der Fadenverkreuzung entwickelt haben. Das Experimentallabor ermöglichte uns, gemeinsame Projekte für die Zukunft zu konzipieren.

Material:

Start in Kopenhagen

NDetail der Brettspieleramphora des Exekiasach dem Setup des Periphron Penelopeia Projektes in Neuss und München bin ich nun seit fast einer Woche und für ungefähr zwei Jahre in Kopenhagen. Mein Apartment ist in Østerbro direkt am Fælledparken mit dem nationalen Fußballstadion, mein Arbeitsplatz an der Humanistischen Fakultät der königlichen Universität Kopenhagen am Centre for Textile Research.

In München war ich auf der Suche nach Vasenbildern, die mir etwas über die Webtechniken verraten könnten. Die berühmte Amphora des Exekias im Vatikan zeigt zum Beispiel scheinbar auf beiden Seiten der Mäntel der dargestellten Krieger das gleiche Muster. Doch sieht man genauer hin, so stellt man fest, dass der Saum auf der Innenseite anders gemustert ist als auf der Außenseite. Zufall? Ich glaube nicht. Meistens mustern die Maler die Innenseite der Stoffe gar nicht. Manchmal nur innnen wie außen.

Das Vasenbild (hier habe ich eine Umzeichnung von Reichhold verwendet) ist auch in meiner Präsentation des Rechensteinbeweises zur Inkommensurabilität im Quadrat zu sehen: www.praetexta.de/psephoi/start.html. Auf irgendeine Weise scheinen die Brettspielervasen eine Verbindung zu dem Quadratmuster zu haben, das in der antiken Weberei so oft vorkommt. Vielleicht weil es die Einteilung des Spielfeldes zeigt? Viele antike Spiele haben Spielbretter mit solchen Linienmustern, z.B. Alquerque, Ludus latrunculorum oder Hefnatafl (von links nach rechts).

    

Und sind nicht auch die Mäntel der Krieger nach einem solchen Schema eingeteilt?

Digitales Weben

Die Bröselmaschine in HaslachDass die Lochkartentechnik des Jacquardwebstuhls für die Entwicklung der ersten Computer entscheidend war, ist mittlerweile bekannt. Weniger bekannt ist, dass die zugrundeliegende duale Arithmetik schon immer ein Charakteristikum der Weberei war, und dass diese Arithmetik in der Antike die reine Mathematik begründete. Im neuen Heft weben+ wird diese Geschichte erzählt und illustriert. Dort gibt es auch Fotos der Bröselmaschine: einer digitalen Webstuhlsteuerung, die wesentlich älter ist als die Erfindung Jacquards.
Ellen Harlizius-Klück: Arithmetik und Weberei – Von Penelopes Webstuhl bis zum Computer, in: weben+, 55. Jg., Heft 2/2011, S. 10-17. Einzelheft für 9€ zuzügl. Porto, zu beziehen über: Inge Seelig, Werkhof Kukate, 29496 Waddeweitz.

Am Saum der Mathematik

Snake KolamAm 18. Januar halte ich an der Universität Frankfurt einen Vortrag über die Frage, ob und wie Mathematik und Kultur zusammenhängen. In Frankfurt arbeiten Mathematikdidaktiker und Kulturanthropologen zusammen in einem Lehrprojekt, das sich mit der kulturellen Macht mathematischer Darstellungen auseinandersetzt. Ein Beispiel: Nebenan sieht man einen computergenerierten snake kolam. Kolams sind Zeichnungen aus Reismehl, die in Südindien von den Frauen täglich neu auf die Schwelle des Hauseingangs gezeichnet werden (vgl. Marcia Ascher). Allerdings ganz ohne Computer. Die Zeichnungen wurden in der Mathematik zur Zeit der Fraktale in den 90er Jahren populär (das Script zum Erzeugen der Kurve gibt es im Internet bei Paul Burke).

Der oben gezeigte snake kolam entspricht exakt der Kurve der Naht, die den Nine Patch Quilt zusammenhält, den ich in den 90er Jahren gemacht habe, um zu verdeutlichen, dass schon in traditionellen textilen Arbeiten die Algorithmen stecken, die erst später in der Mathematik formalisiert werden. Der Quilt ist 150×150 cm groß und wird im Mittelpunkt der Ausstellung “Textile Matrix” stehen, die ich für das Museum für Abgüsse in München vorbereite. Die meisten Beispiele im Frankfurter Vortrag werden aus der Mathematikgeschichte stammen: Mittwoch, 18. Januar 2012, 18 Uhr, Robert-Mayer-Straße 10 (Raum 711). Hier folgen Titel und Abstract.

Objektivitätsanspruch und symbolische Macht.
Eine Spurensuche am Saum der Mathematik.

Seit Platon wird zwischen reinem und angewandtem Wissen unterschieden und die Mathematik als Paradebeispiel reinen Wissens tradiert. Während die kompromisslose Abspaltung der Mathematik von alltäglichen Handlungen in der Antike deren Anspruch auf universale Gültigkeit begründete, scheint es heute eher umgekehrt zu sein: “Alles ist Zahl!” ist eher der Schlachtruf derer, die die Mathematik mit der Praxis verzahnen wollen, um so genannte Schlüsseltechnologien voranzubringen: “Ohne Mathematik würden wir immer noch hinter dem Mond leben, anstatt auf ihn zu fliegen.” (Deutschlandradio Kultur im Jahr der Mathematik 2008)

Doch es gibt Gebiete, in denen dieser Geltungsanspruch mit der impliziten Dimension praktischen Wissens kollidiert. Solche Fälle “destruktiver Analyse” (Michael Polanyi) scheinen marginal und unerheblich und sind kaum in der Lage, den Objektivitätsanspruch ins Wanken zu bringen, der mit der Mathematik verbunden wird. Der Vortrag arbeitet anhand solcher Beispiele heraus, worauf dieser Objektivitätsanspruch historisch beruht, welche Wissensformen er marginalisiert und stellt zur Diskussion, ob nicht gerade am Rand dessen, was wir Mathematik nennen, erst zu verstehen ist, wie und warum Mathematik funktioniert.

Auf nach Kopenhagen

Logo der Marie Curie ActionsHurra! Ich bekomme ein Marie Curie Fellowship und gehe für zwei Jahre ans Centre for Textile Research nach Kopenhagen. Dort werde ich textile Techniken und Muster der griechischen Antike rekonstruieren und untersuchen, inwiefern deren logische und mathematische Struktur sich im griechischen Denken wiederfinden lässt. Das Projekt trägt den Titel Periphron Penelopeia. Textile Technology and the Tacit Dimension of Thought in Ancient Greece.

Es ist ein interdisziplinäres Projekt, das meine Arbeiten zur antiken Mathematik und zur textilen Metaphorik in Naturwissenschaft und Philosophie fortsetzt. Die Tagcloud des Antrags vermittelt einen Eindruck von dem Vorhaben. Sie ist mit Wordle erstellt und auch dort in der Galerie zu finden.Tagcloud des Marie Curie Projekts

Jetzt bin ich also Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung und kann mich für zwei Jahre ganz dem umsichtigen (periphron) Denken der Penelope widmen. Vielen Dank an die Logo der Gerda Henkel Stiftung