Der Faden der Penelope in der Hochschule für Musik und Medien

Penelopes Webstuhl“Struktur kann das Resultat und der Ursprung eines dynamischen Prozesses gleichermaßen sein – ein Gedanke, der der Weberei, der Mathematik und der Musik gemeinsam ist. Indem heute die Praxis des Programmierens der Improvisation oft näher steht als der Maschinensteuerung, wird diese Gemeinsamkeit für die Künste ein zunehmend spannendes Thema. In dieser Hinsicht werden Ellen Harlizius-Klück, Alex McLean und IMM-Dozent Dave Griffiths im Rahmen der fünften Experimentallabor-Residency (5. bis 7. Februar) künstlerische Programmiersprachen in Verbindung mit der Geschichte des Webens neu zu konzipieren versuchen.”

Mit dieser Ankündigung lud Julian Rohrhuber Studenten im Schwerpunkt Musikinformatik an der Robert Schumann Hochschule für Musik in Düsseldorf zur fünften Experimentallabor-Residency ein. Titel: Der Faden der Penelope – Programmieren in antiker Webkunst, Echtzeitpartitur und textil-inspirierte Programmiersprachen. Ich befasse mich schon lange mit dem Zusammenhang von Weberei und Computern (Material am Ende des Artikels) und habe im letzten September bei einem Live Coding Seminar auf Schloss Dagstuhl AlexMcLean und Dave Griffiths kennengelernt, die Programmiersprachen aus der Idee des Fadens oder der Fadenverkreuzung entwickelt haben. Das Experimentallabor ermöglichte uns, gemeinsame Projekte für die Zukunft zu konzipieren.

Material:

Digitales Weben

Die Bröselmaschine in HaslachDass die Lochkartentechnik des Jacquardwebstuhls für die Entwicklung der ersten Computer entscheidend war, ist mittlerweile bekannt. Weniger bekannt ist, dass die zugrundeliegende duale Arithmetik schon immer ein Charakteristikum der Weberei war, und dass diese Arithmetik in der Antike die reine Mathematik begründete. Im neuen Heft weben+ wird diese Geschichte erzählt und illustriert. Dort gibt es auch Fotos der Bröselmaschine: einer digitalen Webstuhlsteuerung, die wesentlich älter ist als die Erfindung Jacquards.
Ellen Harlizius-Klück: Arithmetik und Weberei – Von Penelopes Webstuhl bis zum Computer, in: weben+, 55. Jg., Heft 2/2011, S. 10-17. Einzelheft für 9€ zuzügl. Porto, zu beziehen über: Inge Seelig, Werkhof Kukate, 29496 Waddeweitz.

Am Saum der Mathematik

Snake KolamAm 18. Januar halte ich an der Universität Frankfurt einen Vortrag über die Frage, ob und wie Mathematik und Kultur zusammenhängen. In Frankfurt arbeiten Mathematikdidaktiker und Kulturanthropologen zusammen in einem Lehrprojekt, das sich mit der kulturellen Macht mathematischer Darstellungen auseinandersetzt. Ein Beispiel: Nebenan sieht man einen computergenerierten snake kolam. Kolams sind Zeichnungen aus Reismehl, die in Südindien von den Frauen täglich neu auf die Schwelle des Hauseingangs gezeichnet werden (vgl. Marcia Ascher). Allerdings ganz ohne Computer. Die Zeichnungen wurden in der Mathematik zur Zeit der Fraktale in den 90er Jahren populär (das Script zum Erzeugen der Kurve gibt es im Internet bei Paul Burke).

Der oben gezeigte snake kolam entspricht exakt der Kurve der Naht, die den Nine Patch Quilt zusammenhält, den ich in den 90er Jahren gemacht habe, um zu verdeutlichen, dass schon in traditionellen textilen Arbeiten die Algorithmen stecken, die erst später in der Mathematik formalisiert werden. Der Quilt ist 150×150 cm groß und wird im Mittelpunkt der Ausstellung “Textile Matrix” stehen, die ich für das Museum für Abgüsse in München vorbereite. Die meisten Beispiele im Frankfurter Vortrag werden aus der Mathematikgeschichte stammen: Mittwoch, 18. Januar 2012, 18 Uhr, Robert-Mayer-Straße 10 (Raum 711). Hier folgen Titel und Abstract.

Objektivitätsanspruch und symbolische Macht.
Eine Spurensuche am Saum der Mathematik.

Seit Platon wird zwischen reinem und angewandtem Wissen unterschieden und die Mathematik als Paradebeispiel reinen Wissens tradiert. Während die kompromisslose Abspaltung der Mathematik von alltäglichen Handlungen in der Antike deren Anspruch auf universale Gültigkeit begründete, scheint es heute eher umgekehrt zu sein: “Alles ist Zahl!” ist eher der Schlachtruf derer, die die Mathematik mit der Praxis verzahnen wollen, um so genannte Schlüsseltechnologien voranzubringen: “Ohne Mathematik würden wir immer noch hinter dem Mond leben, anstatt auf ihn zu fliegen.” (Deutschlandradio Kultur im Jahr der Mathematik 2008)

Doch es gibt Gebiete, in denen dieser Geltungsanspruch mit der impliziten Dimension praktischen Wissens kollidiert. Solche Fälle “destruktiver Analyse” (Michael Polanyi) scheinen marginal und unerheblich und sind kaum in der Lage, den Objektivitätsanspruch ins Wanken zu bringen, der mit der Mathematik verbunden wird. Der Vortrag arbeitet anhand solcher Beispiele heraus, worauf dieser Objektivitätsanspruch historisch beruht, welche Wissensformen er marginalisiert und stellt zur Diskussion, ob nicht gerade am Rand dessen, was wir Mathematik nennen, erst zu verstehen ist, wie und warum Mathematik funktioniert.

Textile Matrix

Für das Jahr 2012 war eine Ausstellung meiner textilen Arbeiten im Münchener Museum für Abgüsse geplant. Im Lichthof sollte der Quilt (links) zu sehen sein, bei dem ein traditionelles Nine-Patch-Quiltmuster von einer endlosen Naht in Form eines snake kolam auf einem quadratischen Stück Baumwollnessel festgehalten wird. Der Quilt verbindet also eine amerikanische Tradition mit einer indischen. Die Idee entstand, als die fraktale Geometrie populär wurde und man plötzlich in Mathematikbüchern jene Formen und Ornamente wieder fand, die es im Kunsthandwerk schon seit Jahrhunderten gibt.

Der Titel der Ausstellung, Textile Matrix, nimmt den Faden eines früheren Events auf: Colour Matrix. 2005 installierte der Künstler Andrej Barov eine ca. 200qm große Leuchtkasten-Installation im Glasdach über dem nördlichen Lichthof des Museums. Ganz ohne künstliches Licht wird der frei im Raum hängende Quilt auf der eierschalenfarbigen Rückseite die Farben der Vorderseite durchschimmern lassen. Die Ausstellung wird aufgrund meines Stipendiums in Kopenhagen voraussichtlich 2013 stattfinden.

Auf nach Kopenhagen

Logo der Marie Curie ActionsHurra! Ich bekomme ein Marie Curie Fellowship und gehe für zwei Jahre ans Centre for Textile Research nach Kopenhagen. Dort werde ich textile Techniken und Muster der griechischen Antike rekonstruieren und untersuchen, inwiefern deren logische und mathematische Struktur sich im griechischen Denken wiederfinden lässt. Das Projekt trägt den Titel Periphron Penelopeia. Textile Technology and the Tacit Dimension of Thought in Ancient Greece.

Es ist ein interdisziplinäres Projekt, das meine Arbeiten zur antiken Mathematik und zur textilen Metaphorik in Naturwissenschaft und Philosophie fortsetzt. Die Tagcloud des Antrags vermittelt einen Eindruck von dem Vorhaben. Sie ist mit Wordle erstellt und auch dort in der Galerie zu finden.Tagcloud des Marie Curie Projekts

Jetzt bin ich also Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung und kann mich für zwei Jahre ganz dem umsichtigen (periphron) Denken der Penelope widmen. Vielen Dank an die Logo der Gerda Henkel Stiftung

Schöne Mathematik in Dresden

Zwei Polyeder aus der Serie von Klaus BeckerDer Publikumsliebling einer Ausstellung mathematischer Modelle in Dresden waren die aus und in ihre Metallhüllen gewickelten platonischen Körper des Künstlers Klaus Becker. Neben vielen anderen Modellen waren auch die kleinen und großen Exponate des Imaginary Projektes der TU München zu entdecken. Den Sternpolyeder aus Bambus und Gummiringen findet man ebenso wie eine Liste aller Beteiligten auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Geometrie und Grafik (DGfGG).

Faltform von Thomas Kohl und MiederschnittmusterMir gefielen die Faltformen des Designers Thomas Kohl, die an die Schnittmuster von Damenkorsetts aus der Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert erinnern. Rechts oben sieht man eine solche Faltform für einen kegelförmigen Behälter. Darunter ist ein Kupferstich mit Miederschnittmuster aus dem Tafelwerk der Enzyklopädie abgebildet. Die Schneiderei hat sehr viel mit Geometrie zu tun und die französischen Herausgeber waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst.

Antiker GewichtswebstuhlMein eigener Beitrag war eine interaktive Flash-Präsentation, die den Beweis der Irrationalität von Quadratseite und Diagonale aus Musterungsproblemen der Weberei entwickelt. Die Präsentation steht jetzt im Netz zur Verfügung und wurde von drei Postern zur antiken Arithmetik und Weberei eingeführt, die Idee und Kontext erklären. Die Poster kann man hier im Din-A4-Format herunterladen.

Sieger bei Kopf + Zahl

Lichthof der LMUDas Projekt „Dyadische Arithmetik in Philosophie und Weberei“ zählt zu den Preisträgern des Ideenwettbewerbs „Kopf und Zahl“, ausgeschrieben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Haus der Wissenschaft Bremen. Prämiert wurden Projekte, die den Dialog zwischen der Mathematik und den Geisteswissenschaften fördern.
Im Zentrum meines Projekts steht die Abspaltung der Mathematik von der Philosophie seit der Antike – insbesondere beschrieben am Beispiel der Rolle der Dualität. Der Philosoph Leibniz versuchte seinerzeit eine duale Zahlentheori zu entwikeln, um alles damit berechnen zu können. Diese sogenannte dyadische Arithmetik ist heute als System aus Nullen und Einsen bekannt, auf dem das Prinzip des Universalcomputers aufbaut. Doch schon in der antiken Philosophie gab es ein solches duales Zahlsystem, das vor allem die Musterung der wertvollen antiken Gewebe erleichterte. Der Blick auf Penelopes Webstuhl führt mitten in die Geschichte mathematischen und philosophischen Denkens.

Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke (Inst. für Klassische Archäologie der LMU München) umgesetzt. Erste Ergebnisse waren auf den Münchener Wissenschaftstagen zum Jahr der Mathematik im Oktober 2008 im Lichthof der LMU zu sehen. Seit Ende 2008 hat das Projekt eine eingene Website unter www.praetexta.de.