Am Saum der Mathematik

Snake KolamAm 18. Januar halte ich an der Universität Frankfurt einen Vortrag über die Frage, ob und wie Mathematik und Kultur zusammenhängen. In Frankfurt arbeiten Mathematikdidaktiker und Kulturanthropologen zusammen in einem Lehrprojekt, das sich mit der kulturellen Macht mathematischer Darstellungen auseinandersetzt. Ein Beispiel: Nebenan sieht man einen computergenerierten snake kolam. Kolams sind Zeichnungen aus Reismehl, die in Südindien von den Frauen täglich neu auf die Schwelle des Hauseingangs gezeichnet werden (vgl. Marcia Ascher). Allerdings ganz ohne Computer. Die Zeichnungen wurden in der Mathematik zur Zeit der Fraktale in den 90er Jahren populär (das Script zum Erzeugen der Kurve gibt es im Internet bei Paul Burke).

Der oben gezeigte snake kolam entspricht exakt der Kurve der Naht, die den Nine Patch Quilt zusammenhält, den ich in den 90er Jahren gemacht habe, um zu verdeutlichen, dass schon in traditionellen textilen Arbeiten die Algorithmen stecken, die erst später in der Mathematik formalisiert werden. Der Quilt ist 150×150 cm groß und wird im Mittelpunkt der Ausstellung “Textile Matrix” stehen, die ich für das Museum für Abgüsse in München vorbereite. Die meisten Beispiele im Frankfurter Vortrag werden aus der Mathematikgeschichte stammen: Mittwoch, 18. Januar 2012, 18 Uhr, Robert-Mayer-Straße 10 (Raum 711). Hier folgen Titel und Abstract.

Objektivitätsanspruch und symbolische Macht.
Eine Spurensuche am Saum der Mathematik.

Seit Platon wird zwischen reinem und angewandtem Wissen unterschieden und die Mathematik als Paradebeispiel reinen Wissens tradiert. Während die kompromisslose Abspaltung der Mathematik von alltäglichen Handlungen in der Antike deren Anspruch auf universale Gültigkeit begründete, scheint es heute eher umgekehrt zu sein: “Alles ist Zahl!” ist eher der Schlachtruf derer, die die Mathematik mit der Praxis verzahnen wollen, um so genannte Schlüsseltechnologien voranzubringen: “Ohne Mathematik würden wir immer noch hinter dem Mond leben, anstatt auf ihn zu fliegen.” (Deutschlandradio Kultur im Jahr der Mathematik 2008)

Doch es gibt Gebiete, in denen dieser Geltungsanspruch mit der impliziten Dimension praktischen Wissens kollidiert. Solche Fälle “destruktiver Analyse” (Michael Polanyi) scheinen marginal und unerheblich und sind kaum in der Lage, den Objektivitätsanspruch ins Wanken zu bringen, der mit der Mathematik verbunden wird. Der Vortrag arbeitet anhand solcher Beispiele heraus, worauf dieser Objektivitätsanspruch historisch beruht, welche Wissensformen er marginalisiert und stellt zur Diskussion, ob nicht gerade am Rand dessen, was wir Mathematik nennen, erst zu verstehen ist, wie und warum Mathematik funktioniert.

Textile Matrix

Für das Jahr 2012 war eine Ausstellung meiner textilen Arbeiten im Münchener Museum für Abgüsse geplant. Im Lichthof sollte der Quilt (links) zu sehen sein, bei dem ein traditionelles Nine-Patch-Quiltmuster von einer endlosen Naht in Form eines snake kolam auf einem quadratischen Stück Baumwollnessel festgehalten wird. Der Quilt verbindet also eine amerikanische Tradition mit einer indischen. Die Idee entstand, als die fraktale Geometrie populär wurde und man plötzlich in Mathematikbüchern jene Formen und Ornamente wieder fand, die es im Kunsthandwerk schon seit Jahrhunderten gibt.

Der Titel der Ausstellung, Textile Matrix, nimmt den Faden eines früheren Events auf: Colour Matrix. 2005 installierte der Künstler Andrej Barov eine ca. 200qm große Leuchtkasten-Installation im Glasdach über dem nördlichen Lichthof des Museums. Ganz ohne künstliches Licht wird der frei im Raum hängende Quilt auf der eierschalenfarbigen Rückseite die Farben der Vorderseite durchschimmern lassen. Die Ausstellung wird aufgrund meines Stipendiums in Kopenhagen voraussichtlich 2013 stattfinden.

Frauennetzwerke

SoQuilting Bee, gemalt von Grandma Moseseben erschienen: “Spinnstuben und Strickrunden. Frauennetzwerke in Geschichte und Gegenwart”. Der Text ist aus einem Vortrag entstanden, den ich vor einem Jahr bei einem Workshop der Hans-Böckler-Stiftung gehalten habe. Man findet ihn in dem von Anja Bargfrede, Eva Fuchslocher, Kathleen Kollewe und Katrin Pittius herausgegebenen Buch Frauen NetzWerke. Spinnstuben statt Kaminabende?

Das Bild zeigt eine Quilting Party. Es ist ein Ausschnitt aus einem Gemälde von Grandma Moses, das im Buch leider nur schwarzweiß abgebildet werden konnte. Hier also die bunte Version, über die man auf WikiPaintings.org mehr erfahren kann.

Gequiltet haben wir auf dem Workshop nicht. Aber wir haben versucht, Netze zu knüpfen und zu Spinnen. Hier sieht man die kleinen Arbeitspäckchen, die ich vorbereitet hatte: oben eine Spindel mit einem Flausch gekämmter Wolle und unten eine Netznadel mit aufgewickeltem Baumwollgarn und einem Pappstreifen, damit es leichter fällt, die Maschen gleich groß zu machen. Es gibt zu beiden Techniken kurze Filme, die ich zur Zeit für vimeo vorbereite.